Future Capital - ein Erfahrungsbericht

Future Capital ist eine Förderinitiative der Europäischen Union. Sie bietet finanzielle Unterstützung für ehemalige Teilnehmer des Europäischen Freiwilligendienstes (EFD), die aus Ihren Erfahrungen gerne ein eigenständiges Projekt auf die Beine stellen wollen.

Ich habe als europäischer Freiwilliger 1998 in einem Community Centre (einer Art Bürgerhaus) in London gearbeitet, und dort bei der Betreuung von Gruppen und in der Verwaltung geholfen. Als ich auf unserem Rückkehrerseminar von Future Capital erfuhr, war mir sofort klar, daß ich so etwas machen wollte.

Die Idee

Europaparlament Brüssel

Mein Ziel: Ein Praktikum im Europa-Parlament in Brüssel

Zurück von meinem EFD hatte ich angefangen, Volkswirtschaftslehre zu studieren. Mein Schwerpunktfach, Europakommunikation, hatte ich auf Grund meiner Erfahrungen in England gewählt. Dort hatte ich oft das Gefühl gehabt Europa von außen zu betrachten.

Viele Engländer schienen sich nicht als Europäer zu sehen und in Gesprächen habe ich die EU oft verteidigt, ohne daß ich darüber eigentlich Bescheid wußte. Das hat mich letztendlich neugierig gemacht. Durch meine Unikurse hatte ich einiges theoretisches über die EU gelernt, aber das hat mir nicht gereicht. Ich wollte Europa "live" kennen lernen, und das ich in einem Future Capital Projekt umsetzen. Wer weiß, vielleicht könnte die EU ja später auch ein interessanter Arbeitsplatz für mich sein?

Ich hatte also meine Future Capital Idee gefunden: Ein Praktikum bei der EU.

Die Planung

Bereits vor meiner Bewerbung zum Future Capital Projekt hatte ich mich beim ERASMUS Studentenaustauschprogramm, erfolgreich für einen Studienplatz am Institut d'Etudes Politiques (IEP) in Straßburg beworben. Für die Planung meines Future Capital Projektes konnte ich das jetzt gut ausnutzen. Ich würde durch mein Studium vor Ort in Straßburg sein und zudem an einer bekannten politikwissenschaftliche Hochschule studieren. Dort über diese Hochschule würde ich hoffentlich Leute kennen lernen, die mir bei meiner Bewerbung weiterhelfen könnten. Leute, die vielleicht auch selber Kontakte zum Europäischen Parlament hätten und mich vielleicht empfehlen würden.

Die Bewerbungunterlagen für die Future Capital Förderung waren schnell zusammengestellt. Reisekosten, Wohn- und Lebenshaltungskosten, eine Pauschale für Büromaterial und für Telefonate, eine Auslandsversicherung ... dann noch Geld für einen gebrauchten Laptop und einen Sprachkurs in Französisch - und aufgestellt war mein Finanzplan. Um zu kontrollieren, daß er auch wirklich alles enthielt, habe ich den Ablauf des Projektes in Gedanken durchgespielt. Ich listete allen bekannten Kostenpunkte auf und füllte sie später mit konkreten Zahlen.

An Hand meiner Liste nahm ich dann auch die zeitliche Einteilung des Projektes vor. Ich habe einzelne Teilziele bestimmt: Praktikumssuche, Sprachkurs, Zimmersuche, Umzug, Praktikum, Nachbereitung und mir in einen Wandkalender eingezeichnet, wann welcher Teilschritt stattfinden und wie lange er dauern soll.

Hinweise aus einem Workshop zu Future Capital haben mir geholfen, die Projektgestaltung realistisch zu planen und mir weniger Illusionen über meine finanziellen und zeitlichen Möglichkeiten zu machen.

Mein Future Capital Projekt ist angenommen worden!

Europaparlament außen

Endlich da ... ?

Im September war ich zum Studium in Straßburg und unternahm dort auch die ersten Schritte zu meinem Projekt: Ich schickte Bewerbungen an die Europäische Kommission, an das Europäische Parlament und an den Wirtschafts- und Sozialausschuß - und wartete auf Antwort.

Leider schien das alles nicht so zu laufen, wie geplant. Die Uni hat mich viel mehr in Anspruch genommen, als ich gedacht hatte: Sprachschwierigkeiten, Klausuren mitten im Semester, und das strenge Unisystem hatte ich völlig unterschätzt. Als ich gegen Dezember die ersten Absagen auf meine Bewerbungen kamen, war ich ziemlich frustriert.

Die Möglichkeit Professoren an der Hochschule anzusprechen hatte sich auch nicht ergeben. Das Verhältnis Professor - Student war irgendwie anders als an deutschen Unis, erhabener, und mit nur mittleren Studienleistungen habe ich mir keine Hoffnung auf Unterstützung gemacht.

Alles hatte so hoffnungsvoll angefangen, ...

.... sich dann aber nicht nach meinen Plänen entwickelt.

Als Ende Januar zwei weitere Absagen eintrudelten, wußte ich nicht mehr weiter.

Ich hatte so sehr auf meine Idee gebaut, ein zusammenhängendes Praktikum zu machen, daß ich eine andere Alternative gar nicht wahrgenommen hatte: Einige Austauschstudenten arbeiteten bereits seit Anfang September nebenbei als Assistenten für einen Abgeordneten. Sie arbeiteten regelmäßig einmal im Monat für vier Tage, wenn das Parlament in Straßburg tagte.

Jetzt war es bereits Anfang Februar, und das Parlament würde bis zur Sommerpause nur noch fünf mal in Straßburg tagen... und wer würde denn für die letzten Male noch einen Assistenten einstellen, wenn er das ganze übrige Jahr ohne ausgekommen war?

Ich habe mich tierisch über meinen Schmalblick geärgert. Ich hätte mich früher erkundigen sollen, wie die anderen Studenten an diese Stellen gekommen waren.

Überraschende Hilfe

Europaparlament innen

Schick! Das EU-Parlament von innen.

Durch Zufall kam ich mit einem Studienkollegen über mein Projekt ins Gespräch. Ich erzählte ihm das ich es wohl aufgeben würde, da ich bisher noch keinen Schritt weiter sei und auch keine Ideen hatte. Es stellte sich heraus, daß er ebenfalls ein ehemaliger Freiwilliger war und seinen Freiwilligen Dienst in Brüssel absolviert hatte. Von dort aus hatte er Kontakte zum Europäischen Parlament aufgebaut und arbeitete derzeit auch nebenbei als Assistenten für einen Europaabgeordneten.

Der Studienkollege konnte mir mehr über die Abläufe im Parlament sagen und gab mir wertvolle Tips. Sein Vorschlag war, sich direkt an die Abgeordneten zu wenden und die Bewerbung nicht über das Praktikantenbüro des Europäischen Parlaments laufen zu lassen. Das offizielle Praktikantenbüro des Europäischen Parlaments, vergibt ihre Praktikumsstellen nach sehr strengen Auswahlkriterien, und gibt Bewerber aus allen europäischen Ländern. Es gibt weniger Bewerber die auf die Idee kommen sich direkt an einen Abgeordneten zu wenden, und die Chancen angenommen zu werden, sind größer. Da es 626 Abgeordnete gibt, gibt es auch mindestens 626 Praktikantenstellen für die ich mich bewerben konnte.

... und wer könnte nicht noch eine qualifizierte Praktikantin gebrauchen, die hoch interessiert ist und zudem kein Geld verlangt?

Der neue Anlauf

Innerhalb einer Woche stand meine Email-Bewerbung an die Abgeordneten. Mein weiterer Plan war mich in der darauf folgenden Straßburger Sitzungswoche persönlich im Parlament vorzustellen.

Europa-Abgeordneter Nirj Deva

Mein Praktikums-Chef Nirj Deva.

Von einem Assistenten bekam ich als Antwort auf meine e-mail-Bewerbung ein paar weitere, nette Anregungen, und ich vereinbarte mit ihm ein Treffen, um noch mehr über die Tätigkeit eines Assistenten zu erfahren. Als positiven "Nebeneffekt" brachte mir dies einen Tagesausweis ein und dadurch Zugang zum Parlament. Diese Chance habe ich dann genutzt, um mich bei einigen Abgeordneten persönlich vorzustellen.

Und das Ergebnis war erstaunlich!

Die meisten Abgeordneten, die ich angesprochen habe, waren beeindruckt von dem Mut, sie einfach anzusprechen und gaben mir die Gelegenheit, mich und mein Vorhaben vorzustellen. Natürlich vergeben viele Abgeordnete ihre Praktikantenstellen schon auf Jahre im voraus, oder nehmen bevorzugt Bewerber aus dem eigenen Wahlkreis, oder gar keine Praktikanten, dennoch war meine Bilanz nach den ersten Anläufen sehr positiv:

Eine brandenburgische Abgeordnete fand mein Engagement so gut, daß sie mir eine Stelle bis zur Sommerpause in Ihrem Büro in Straßburg anbot, obwohl sie sonst nur brandenburgische Bewerber berücksichtigte.

Aber auch andere Abgeordnete, die selbst keine Stelle zur Verfügung hatten, unterstützten mich mit kleinen Tips und Hilfen. Ein englischer Abgeordneter hat mir z.B. eine Übersicht über die Abgeordneten und ihre Tätigkeitsbereiche geschenkt; Ein weiterer Kollege ein Büchlein mit Photos von allen Abgeordneten, so daß ich die Abgeordneten, die mich am meisten interessierten, auch vor dem Sitzungssaal oder in der Lounge erkennen und ansprechen konnte.

Auf diese Weise habe ich circa acht Bewerbungsmappen an Abgeordnete geben können, die Interesse an einer Praktikantin hatten, und die auch in für mich interessanten Ausschüssen arbeiteten.

Das Ergebnis...

...von zwei Tagen Klinkenputzen im Parlament waren: Zwei weiterführende Vorstellungsgespräche in Brüssel und eine Zusage für Straßburg für den Notfall.

Meine Email-Aktion hatte ein ähnliches Ergebnis gebracht: zwei Vorstellungsgespräche in Brüssel und eine direkte Zusage.

Wahlkampf in England

Wahlkampf in England ...

Dennoch war das Feedback auf meine Online-Bewerbung relativ schwach. Von 114 Abgeordneten, die ich angeschrieben hatte, haben sich nur ungefähr 50 meist mit einer Absage zurück gemeldet. Einige bekundeten generelles Interesse und behielten meinen Lebenslauf für spätere Stellen in ihren Unterlagen. Zwei oder drei Abgeordnete haben mir durchaus einen Praktiumsplatz angeboten, allerdings erst für Frühjahr 2003!

Wer sich also auch längerfristig für ein Praktikum im Europäischen Parlament interessiert, sollte sich durchaus schon zwei bis drei Jahre vorher bewerben, wenn er so lange im Voraus planen kann.

Warum ich nur verhältnismäßig wenig Antworten bekam, habe ich später übrigens erfahren: die Emails werden meist von den Assistenten der Abgeordneten angenommen. Ist kein Bedarf an einem Praktikanten oder gerade Wichtigeres zu tun, wird die Bewerbungs-Email vielleicht gar nicht erst gelesen. Daher war das persönliche Vorstellen sehr wichtig, zudem hat es mir aber auch die Hemmungen genommen, mich im Parlament frei zu bewegen und mit den Abgeordneten zu reden. Und das hat sich in den Vorstellungsgesprächen dann ausgezahlt.

Ich habe mir mein Praktikum ausgesucht

Wahlkampf in England

... Live miterlebt!

Letztendlich konnte ich mir meinen Praktikumsplatz unter vier Zusagen aussuchen.

Ich habe mich dazu entschieden, für Nirj Deva zu arbeiten, einen britischen Abgeordneten, der im Ausschuß für Entwicklungshilfe sitzt.

Während meines Praktikums habe ich einen interessanten Einblick in die praktische Europapolitik gewonnen und hatte dazu auch die einmalige Chance, die britische Politik näher kennen zu lernen. Besonders spannend war dabei, daß ich im Wahlkampf bei den Unterhauswahlen vor Ort, in England, mit helfen konnte. Dadurch habe ich eine von der deutschen grundsätzlich verschiedene Art von Wahlkampf hautnah miterleben können.

Katrin Eßer, katrin@familie-esser.net


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